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Glamour oder Basic: Was bist du?

Ein modischer Feldversuch.

Dem Anlass entsprechend gekleidet. Wie oft habe ich diesen Satz schon gehört und wie viel öfter ihn auch gelebt. Im Business vor allem, zu festlichen Anlässen oder öffentlichen Veranstaltungen. Und ja, wenn man nicht gerade das Einhorn unter den Pferden sein möchte, lebt es sich stilmäßig angepasst eben einfacher. Denn während meine Tochter sich im Hummelkostüm auf der Gartenparty unserer Freunden vergnügt, käme ich mir im geschlitzten Abendkleid fehl am Platze vor. Als eine Art Showeinlage, die noch abliefern will. Aber das bin ich nicht. Und auch das geschlitzte Abendkleid nicht. Ich bin eher Basic. Mein Kleiderschrank ist Basic, geschmückt mit ein paar kleinen Highlights. Meine goldene Handtasche, die einfach zu allem geht – oder mein liebstes Kleid im Leo-Print. Ansonsten: unspektakulär, gemütlich, angepasst, aber dennoch modisch. Sagt man das eigentlich noch: modisch? Zeitgemäß? Im Trend? Ich bin nicht sonderlich mutig, was Mode betrifft – oder extravagant. Nur farblich darf es manchmal krachen. Ich bin eher Discofox, statt Tango. Ohne Muster. Ich bin meinem Leben entsprechend gekleidet. Sneaker, um Hund und Kind hinterherlaufen zu können; Hosen, damit Schritt halten nicht zur enthüllenden Katastrophe wird und Shirts, weil diese sich einfach zu allem stylen lassen. Ich bin Basic von Kopf bis Fuß. Angepasst.

Wieviel Glamour verträgt ein Alltag?

Und dann habe ich diese Glitzerjacke gesehen. Sie hing im Geschäft an der Stirnseite des Ganges, blinkte und schimmerte und rief: „Hier! Nimm mich mit!“

Ich blieb stehen und fragte: „Wozu? Zu welchem Kleidungsstück soll ich dich tragen? Oder: zu welchem Anlass überhaupt? Ich bin Basic. Du bist wie ein eine Neontafel, eine Einladung einzutreten.“

Dann ging ich weiter, bezahlte den eierschalfarbenen Wollpullover, der ist, wie ich es mag: gemütlich und zu vielen Teilen aus meinem Kleiderschrank kombinierbar. Ein bisschen gewagt, weil der Ausschnitt mehr ent- als verhüllt und von gutem Material. Ein Schnäppchen mit Kaschmiranteil. Ich freute mich ehrlich und winkte dem Glitzerblazer beim Verlassen des Geschäftes noch einmal zu.

Abends im Bett überlegte ich, was ich zum Treffen mit meinen Freundinnen anziehen soll. Raus aus unserem Stadtteil, wollten wir uns ins Getümmel der Innenstadt wagen. Also ins pandemische Getümmel mit ungefähr zwanzig weiteren Personen, die in irgendeiner Art und Weise der 2G+ Regel entsprechen. Eigentlich ein Trauerspiel. Und dennoch: wir müssen raus. Raus aus den Wohnungen, aus den täglichen Grenzen, aus dem Alltag. Uns gut anziehen, die Falten nach hinten kämmen und Geschichten aus unseren Handtaschen packen. Das Leben feiern.


Also: was ziehe ich an? Ich denke an den Glitzerblazer und überlege ernsthaft, ob er das Hummelkostüm wäre oder einfach nur ein Highlight in meinem Basic-Alltag? Die Neontafel oder das Krönchen zum Outfit. Ich höre mich ein Lied summen:

“Es ist zwanzigzweiundzwanzig: der Glitzerblazer sonnt sich vielleicht an einer anderen Frau – zu zwein? Ja, mein Mut war zu klein.”

“Es erscheinen Engelchen und Teufelchen auf meiner Schulter Engel links, Teufel rechts: Lechz! “Nimm dir die Jacke, sie will es doch auch. Kannst du mir erklären, wozu man solche Sachen braucht?”

“Und so streiten sich die beiden um mein Gewissen. Und ob ihr’s glaubt oder nicht, mir geht es echt beschissen Und während sich der Teufel und der Engel anschreien Entscheide ich mich für ja, nein, ich mein jein!”

Danke an dieser Stelle an „Fettes Brot“ für den jahrelangen Ohrwurm in jedweder Form.

Doch zurück zu meinen Gewissensbissen. Ich wollte nichts mehr kaufen, was ich nicht wenigstens einmal im Monat trage. Meinem Geldbeutel und der Umwelt zuliebe. Nieder dem Konsum bedeutungsloser Dinge. Doch wie bedeutungslos kann ein Glitzerblazer sein, an einem grauen Januartag, der viele weitere graue Januartage schon mit sich zieht? In einer Pandemie, die endlos scheint? Ein bisschen mehr Glamour in der Winterdiesigkeit der Großstadt. Ein bisschen mehr WOW, ich habe mich getraut – und ein bisschen mehr: Schau!

Ich könnte noch immer Baggyjeans, Sneaker und ein T-Shirt dazu stylen, denke ich. Um die Neontafel etwas zu dimmen, um die Ansage, die so ein auffälliges Kleidungsstück mit sich bringt, ein wenig zu neutralisieren. Alltagsüblicher zu gestalten. Das weiße Pferd statt des Einhorns unter Rappen.

Dem Anlass entsprechend gekleidet. Dem Alltag gemäß angezogen. Aber immer öfter ertappe ich mich beim Träumen, wie ich im Abendkleid auf der Gartenparty unserer Freunde erscheine und diesen einen extravaganten Moment einfach feiern möchte. Denn Kleidung ist so viel mehr als Stoff, der unseren Körper einhüllt. Kleidung ist Ausdruck und Gefühl, ist eine Aussage und manchmal eben auch eine Ansage. Kleidung kann still sein oder ganz laut schreien. Kleidung zeigt dein Leben.

Also: wer bist du? Wer möchtest du sein?


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