R.I.P. Erwartungen.
Der Bildschirm meines Smartphone wirft blaue Lichtschatten auf mein Gesicht und ich sehe ein Spiegelbild meiner selbst auf dem Glas des Displays, unterbrochen von Bildern und Texten der Facebook-Neuigkeiten.
Was erwartest Du von 2017?, steht auf meiner Stirn, und auf meiner Nase macht sich wie ein großes Pflaster ein Schwarzweißbild einer nachdenklichen Frau breit. Der Teaser zum Text zieht sich wie ein Schnurbart über meinen Mund. 10 Dinge, die besser machen kannst und 10 Dinge die Du lassen solltest, damit das neue Jahr perfekt wird.
Ich habe schon keine Lust mehr, meine Zeit mit dem Inhalt des Dossiers eines bekannten Frauenmagazins, zu vergeuden.
Und so blicke ich auf das Display und das Spiegelbild meiner selbst, zwischen all den Buchstaben und Bildern, während das Wort Erwartung auf meiner Stirn prangt.
Die Er I war I tung. Substantiv, feminin. Zustand des Wartens, Spannung. Das passt gut, denke ich und muss lachen.
Ich scrolle weiter, stocke und lese: RIP George Michael. Mein Lächeln verschwindet, während mein Hirn versucht, diese Meldung zu verarbeiten. Ich starre auf das Display, auf das Foto eines großartigen Musikers und lese fassungslos die Bildunterschrift. George Michael ist am 25.12.2016 im Alter von 53 Jahren an Herzversagen verstorben.
Nein, das hatte ich nicht erwartet. Ich bin schockiert. Aber ist es nicht genau das, was so oft mit unseren Erwartungen passiert? Sie erfüllen sich unproportional zu unseren Vorstellungen. Sie sind die unausgesprochene Hoffnung einer Vision unserer Zukunft. Ein Wort, das sprachwissenschaftlich zu Kategorie des Futur gehört, während sich unser Leben im Präsens abspielt. Warum also die ganzen Erwartungen? An uns, an unsere Mitmenschen, die Politik, die Welt, an das Leben? Um uns Hoffnung zu machen, dass etwas besser wird? Ich schüttele kaum merklich meinen Kopf, wie um meine Gedanken in eine neue Reihenfolge zu bringen. Ich mag das Wort Hoffnung. Ich mag wie es sich anfühlt, weil es angibt, unendlich zu sein. Keine Grenzen zu haben. Hoffnung ist ein positives Wort, es macht frei. Erwartungen dagegen grenzen ein. Denn sie haben einen Rahmen um eine Vorstellung in meinem Kopf gefasst. Eine Erwartung ist endlich. Das Leben ist endlich. Das ist etwas, was ich mir nicht tagtäglich vor Augen führen möchte.
Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter. Und wenn es mein letzter wäre, dürfte ich dann heute nicht übellaunig sein? Müsste ich mich anstatt auf der Couch liegend Serien zu streamen und auf Facebook die neuesten Meldungen zu verfolgen, erheben und in die Welt hinaustreten, Familie und Freunde zusammentrommeln und mindestens eines der Dinge tun, die auf meiner Löffelliste stehen? Obwohl ich meine eigene Muffigkeit so schön neben mir auf dem Sofakissen geparkt habe und die Welt da draußen einfach mal sein lassen möchte. Nein, denke ich und koche mir eine Tasse Tee, während die nächste Folge Once Upon A Time auf mich wartet. Ich lasse den Teebeutel auf und ab hüpfen und sehe zu, wie sich das Wasser goldbraun verfärbt. Auf dem Etikett zwischen meinen Fingern steht: Lasse die Dinge zu dir kommen. Wie passend, denke ich und schlappe zurück in das Wohnzimmer. Mein Hund lugt über den Rand seiner Deckenburg und gähnt herzhaft. Ich kraule kurz seine Brust und tätschele seinen Kopf. Heute ist kein Tag um die Welt zu erobern, das hat auch er erkannt und schnieft leise vor sich hin. Draußen platscht der Regen gegen die Fenster. Die warme Teetasse in meine Händen haltend, blicke ich stumm den Tropfen zu, die kleine Rinnsale an den Scheiben bilden und eine Zeile aus einem Song von George Michael fällt mir ein: „’Cause I’ve gotta have faith.“ Ich muss vertrauen können. Plötzlich ergibt es einen Sinn, die Gedanken in meinem Kopf haben sich in der richtigen Reihenfolge platziert und drängen, ausgesprochen zu werden.

Erwartungen sind die Stolpersteine des Lebens. Die Hoffnung ist das Vertrauen in die Zukunft.
Liebes Jahr 2017, ich erwarte nichts von Dir, doch ich wünsche, hoffe und vertraue darauf, dass Du vielfältig wirst, dass Du die Schönheit des Augenblicks genauso zelebrierst, wie den alltäglichen Lauf der Dinge. Ich freue mich auf Dich und blicke Dir vertrauensvoll entgegen.
Und bitte, lass die Idole meiner Jugend und die wirklich guten Musiker noch ein wenig auf dieser Welt und weiterhin gute Musik erschaffen. Musik verbindet. Musik ist Emotion. Musik ist Frieden und Liebe. Davon brauchen wir ganz viel.
“‘Cause I’ve gotta have faith, Uhh I gotta faith. Because I gotta to have faith, faith, faith. I gotta to have faith, faith, faith.” George Michael