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Murmeltiertage

Wir haben uns mal dem Thema Routine gewidmet. Ein unvermeidbares in diesen Tagen. Feste Strukturen geben Halt, um nicht in einem Corona-Alltag zu versinken. Oder den Kopf zu verlieren.

Wie erlebt ihr eure neue Routine?

…ein Beitrag von Mandy…

Ich mag Routine.

Und ich mag Überraschungen, kleine feine Wendungen im Leben, kurze Momente aus einem anderen Blickwinkel. Ich mag es, am Samstagmorgen die immer gleichen Menschen in der Schlange vorm Bäcker zu sehen. Der Bäcker ist neu im Viertel. Er ist täglich gut besucht. Natürlich, viele Menschen sind daheim. Arbeiten daheim.

Homeoffice ist die neue Antwort auf: was ist dein Job?

Auch der Baumschienenvertreter ist im Homeoffice. Das erzählt er gerade ankommend, seinem Kumpel, den er beim Bäcker und beim Warten antrifft. Zweiundzwanzig Brötchenfrühstücker zähle ich heute. Zweiundzwanzig Menschen, die sich zur Abwechslung heute um eine andere Ecke biegen, an der Hauptstraße entlang und drei Hauseingänge weiter.

„Ab dem Mittag sitze ich auf dem Sofa, die Füße auf dem Wohnzimmertisch, und schreibe eMails an meine Kunden. Dann surfe ich ein wenig im Netz. Oder schaue bei Facebook rein. Linda ist derweil mit den Kindern beschäftigt. Der Große macht ja nun Homeschooling. Die Kleine noch nicht. Dafür macht sie ziemlich viel Chaos. Da bin ich froh, dass ich im Wohnzimmer arbeiten kann.“, erklärt sich der Vertretertyp gerade seinem Freund, der seinen ungefähr dreijährigen Sohn auf dem Arm trägt.

„Und Linda? Ist sie jetzt in Kurzarbeit?“, fragt dieser nun interessiert.

„Ja. Sie darf sich daheim ausruhen, während sie ihre sechzig Prozent vom Staat kassiert.“, bekommt er nebst mitleidsvoller Miene als Antwort präsentiert.

Mann und Kind räuspern sich. Der Sohn eher unbewusst. Beide rücken nun auf, da die Warteschlange sich weiterbewegt. Jetzt dürfen sie den Bäckerladen betreten und der Kumpel draußen warten. Beinahe hätte er vergessen, sich hintenanzustellen. Daran erinnert ihn nun der Arbeitshosentragende Herr vor mir – der nun erste in der Warteschlange vorm Bäcker. Diesen Platz gibt er nicht freiwillig auf. Er zieht noch einmal die Träger fest und rückt den Latz seines Blaumannes gerade.

Von der anderen Seite schleicht sich auf Gummisohlen ein wirklich altes Mütterchen an die Eingangstür, aus der gerade Vater und Sohn heraustreten wollen. Sie tritt einen Schritt zurück, um ihnen den Weg zu gewähren. Ich warte ab. Der Herr vor mir nicht. Mit einem Stofftaschentuch wischt er sich über die Stirn und trällert dabei ein lautes: „Halt! Die Schlange endet dort hinten. Der nächste bin ich.“

Das Mütterchen dreht sich um und klappt die Sonnengläser vom Brillengestell nach oben. Dann schaut sie durch leicht verschmierte Gläser in Richtung des wohl gut gemeinten Hinweises.

„Ja.“, sagt sie. „Das weiß ich. Aber bei mir geht’s schnell. Nur ein Mohnbrötchen.“

Ich höre seine Kinnlade klacken und muss lachen. Er nicht.

Ja, ich mag Routine.

Auch wenn ich seit gut vier Wochen eine neue pflege. Doch wir haben uns schon ein wenig angefreundet. Die Neue und ich. Ich freue mich, wenn sie mir bei der morgendlichen Gassirunde mit unserem Hund begegnet. Joggend, Mutter, Vater und die Zwillingsmädchen. Acht Uhr auf der Straße zum Park. Ich mag sie grüßend über den Gartenzaun, zur Richterin und ihrem Mann. Oder eben beim Bäcker. Ich mag das gemeinsame Frühstück mit Mann und Kind, das Spielen und Toben. Ich mag auch meine eineinhalbstündige Mittagspause, die ich meistens mit Schreiben verbringe.

Das sind Murmeltiertage.

Tage, an denen ich weiß, worauf ich mich einlasse. Zwischen Aufstehen und Zubettgehen ist der neu erlernte Kinderblödsinn das Highlight eines jeden Tages. Es passiert nicht viel im heimischen Mikrokosmos. Das ist gut so. Die Welt steht schon genug Kopf.

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