Das Leben ist schön!
Mein liebes Leben, es wird Zeit, dass wir uns einmal unterhalten. Es wird Zeit für ein Dankeschön an Dich. Du bist sehr überraschend, und das, obwohl ich so gern plane. Doch oft genug zeigst Du mir, dass meine vorausdenkende Art sich nicht mit Deiner Willkür verträgt. Und über manche deiner Witze kann ich nur schwer lachen. Okay, der nette Gruß der Taube auf meiner Schulter und meinem Lieblings-Shirt, nach einem verqueren Tag, hat mich sehr erheitert. Wahrscheinlich hast du da nicht einmal deine Finger im Spiel. Wobei ich fast meinen möchte, dass die Kette der lustigen Zufälle doch von deiner Hand eingefädelt wurde. Der vergessene Schlüssel hinter der zugefallenen Tür; die auf links gedrehte Schlüppi – was ich erst am späten Nachmittag bemerkte; der Tankwart mit hessischer Mundart; Autoreifen, die doch keine Luft lassen und schlussendlich der vermaledeite Vogel im Park. Du hast dich bestimmt vor Lachen ausgeschüttet. In dem Fall nicht nur du. Das sind die Momente, in denen ich dich ganz fest umarmen möchte und dir sagen, wie lieb ich dich habe. Weil du mich zum Lachen bringst. Doch liebes Leben, das ist nicht immer so, dass wissen wir beide. Im letzten Jahr hast du mir gezeigt, dass Freude und Trauer ganz nah beieinander liegen. Du hast mir offenbart, dass nicht immer alles ist, wie es scheint, und dass einige Menschen ihr wahres Ich hinter einer Maske verstecken. Du hast mir gezeigt, was es heißt loszulassen, zu akzeptieren und irgendwie weiter zu leben. Du hattest andere Pläne mit mir, als ich für mich erhofft hatte. Aber du hast mir auch gezeigt, was Liebe ist. Dafür möchte ich dir danken! Für die vielen kleinen Momente, die ich im großen Alltag nicht mehr übersehen möchte. Das Vögelchen am Morgen, welches mich mit seinem fröhlichen Gezwitscher weckt. Das Gesicht meines Mannes, dass noch ganz verknittert aus dem Kissen lugt. Der feuchte Kuss meines Hundes und die Gassirunde im Morgentau. Meine wunderbare Familie, die so unvollkommen vollkommen ist. Die ich manchmal nicht verstehe und sie mich nicht. Doch die da ist, wenn ich meinen Wunsch nach Hilfe liebevoll adressiere. Meine Freundinnen, jede auf ihre Art einzigartig und herrlich schrullig. Liebes Leben, du hast sie alle für mich gesammelt. Du hast auch andere Menschen zu mir gebracht und manchmal verstehe ich erst später die Gründe dafür. So wie Luise. Diese zauberhafte junge Frau mit den wunderschönen Augen. Und auch, wenn sie in der Größe der Zeit mein Leben scheinbar nur gestreift hat, hinterließ sie dabei Spuren. Ich habe von ihr gelernt, was wirkliche Lebensfreude ist. Das ein Leben ein Verfallsdatum hat und man die Zeit bis dahin, in seiner Fülle genießen kann. Dabei kommt es nicht darauf an, ständig zu lachen, immer fröhlich zu sein und dem Glück hinterher zu jagen. Zu schaffen, den Tag mit Tätigkeiten anzufüllen und sich in Arbeit zu verlieren. Vielmehr ist es die Art, seinen Weg zu gehen und dabei echt zu sein. Auch zu weinen, wenn einem danach ist. Zu sagen, wenn die Steine auf der Straße des Lebens durch den Schuh drücken und nicht hinter dem Berg zu halten, wenn es um Herzenswünsche geht. Es geht darum, den Lebensweg als Spaziergang anzusehen und manchmal still inne zu halten um dessen Schönheit in Ruhe betrachten zu können. Luise hatte Krebs. Sie ist im letzten Jahr, am 5. Juni 2015 verstorben. Doch sie lebt weiter in unseren Herzen und Gedanken. Sie hat so viele Menschen berührt, ihnen Mut, Stärke und Wissen gegeben. Auch mir. Ich kann mich noch gut an ein paar Worte Luise’s erinnern, nachdem wir uns über Freunde und deren Umgang mit ihrer Erkrankung unterhalten hatten. „Weißt du,“, sagte sie damals zu mir und schaute überlegend an mir vorbei. „Ich wünsche mir manchmal, dass die Menschen nicht nur sagen: ruf mich an, wenn du etwas brauchst. Sondern dass sie einfach zu mir kommen und mich mitnehmen. Zum See, in ein Café, die Straße hoch und runter. Auch wenn es nur kurz ist. Denn mal ehrlich, wer ruft denn schon ständig seine Freunde an und fragt, ob sie etwas unternehmen wollen und sagt dass es einem nicht so gut geht. Das wissen sie doch.“ Luises Worte hallen noch heute in meinen Ohren. Lange habe ich darüber nachgedacht, wie oft ich mich schon in solch’ einer Situation befunden hatte. Die schnell dahin gesprochenen Worte, helfen zu wollen. Und dass die Person sich einfach melden solle. Habe ich mein Versprechen in diesen Momenten wirklich ehrlich gemeint? Oder habe ich still gehofft, dass der Anruf nie erfolgen mag? Ich denke, es war von jedem etwas dabei. Mit dem Unterschied, dass ich heute meine Hilfe anbiete, wenn ich es genauso meine, und ablehne, wenn ich nicht die Kraft dazu habe. Das bin ich meinem Gegenüber schuldig. Die Ehrlichkeit und den Respekt. Doch genauso spreche ich heute meinen Wunsch nach Hilfe und Unterstützung aus, weil die Medaille wie so oft zwei Seiten hat. Weil nicht jeder in meinen Kopf schauen kann und erkennt, dass es mir nicht gut geht, obwohl ich lache. Aber ich kann es sagen. Das habe ich im letzten Jahr gelernt. Ich kann mein Herz zu den Menschen tragen, die es liebevoll aufnehmen und in ein Mäntelchen aus Zuneigung, Verständnis und Liebe hüllen. Ich denke, dass Luise auch diese wunderbaren Menschen hatte. Dass sie viele Freunde, ein tolle Familie und eine ganz zauberhafte Mama hat, das weiß ich. Das wurde mir heute wieder gezeigt. Und auch dafür bin ich dir dankbar, liebes Leben. Das du Menschen an meinen Tisch setzt, die nicht nur mit ihrem Schicksal hadern, die versuchen, es zu akzeptieren und ihrem eigenen Leben lächelnd die Hand und ein Glas Bier hinhalten. Heute war Luises Gedenkfeier. Die erste von hoffentlich vielen. Damit niemand diese großartige junge Frau vergisst. Damit alle Menschen die Luise berührt hat, sich wiedersehen und jeder auf seine Art in Erinnerungen schwelgen kann. Damit mehr Menschen einen Weg zueinander finden, sich halten, verstehen und noch offener über diese Krankheit sprechen können. Krebs. Ich konnte es lange nicht. Nicht aus direkt eigener Betroffenheit, sondern aus der Angst vor dem Unbekannten. Vielleicht auch vor der Endgültigkeit, die eintreffen kann. Bis ich Luise bei einem Fotoshooting kennenlernte. Das war im November 2013. Ich hatte sie und ihrer Mama vor der Kameralinse und versuchte beide mit bunten Geschichten zu entspannen. Entsprungen war das Fotoprojekt dem Verein Nana – Recover your smile und wurde in Leipzig von Schülern und einer Lehrerin der Universität unter dem Namen Blickwinkel Leipzig ins Leben gerufen. Ich durfte einige Menschen dort mit meiner Kamera begleiten. Vier waren es insgesamt. Drei wunderbare Ladys und eben Luise. Dieser Tag hat mich lange beschäftigt und wird mir immer im Gedächtnis bleiben. Dieser Tag hat ein Stück mein Leben verändert. Und heute Nachmittag saß ich mit mir bis dahin unbekannten Frauen und Mama Beate in einem kleinen zauberhaften Restaurant namens Süß & Salzig am Tisch in der Sonne, umgeben von anderen Freunden und der Familie von Luise. Ich lauschte ihren Geschichten, ihren Schicksalen und den Verbindungen zu dem großartigen Mädchen. Die Live-Band The Incs spielte dazu Musik. Unter anderem ihre ganz eigene Version von Sarah Connors
Das Leben ist schön. Ich will, dass ihr feiert, ich will, dass ihr tanzt, mit ‘nem lächelndem Blick und ‘nem Drink in der Hand, ‘nen Heißluftballon, auf dem riesengroß steht: Das Leben ist schön, auch wenn es vergeht. Ja! Liebes Leben, du bist schön! Weil du da bist, weil du mich begleitest, weil du mich sein lässt. Weil ich jeden Tag erleben und lernen darf. Weil du manchmal schmerzt und weil du noch öfter lachst. Du hast deinen eigenen Kopf und deinen eigenen Plan, aber du lässt ihn mich sehen. Ich begebe mich vertrauensvoll und voller Lust in deine Hände. Ich bin gespannt auf den Weg, den du für mich vorgesehen hast und schaue links, schaue rechts, oben und unten und genieße die Fülle, mit der du mich überraschst.
Danke liebes Leben!
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The Incs mit Luise auf Youtube The Incs auf Soundcloud
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